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"Wir sehen die Welt nicht so, wie sie ist, sondern wie wir sind." (aus dem Talmud)
In diesem Zitat aus dem Talmud steckt vieles, was für die Kommunikation fundamental wichtig ist. Jeder Mensch baut sich im Laufe seines Lebens sein eigenes Bild von Welt auf, basierend auf einem Wertsystem, das geprägt ist von seinen persönlichen Erfahrungen, von der Kultur, in der er aufgewachsen ist, von den Informationen und Meinungen, mit denen er sich auseinandergesetzt hat, von den Einstellungen und Meinungen anderer Menschen, die ihm wichtig sind oder die er bewundert. Jedem Menschen ist sein eigenes Wertsystem lieb und teuer, genauso wie seine Gewohnheiten, all dies gibt ihm Halt. Und deshalb reagieren Menschen gereizt, wenn man an ihren Wertsystemen kratzt und ihre Meinungen infrage stellt. "Jeder Mensch konstruiert seine Wirklichkeit subjektiv und eigenverantwortlich. Demnach gibt es so viele Wirklichkeiten wie es Menschen gibt", heisst das Basistheorem des Konstruktivismus. Ähnliches finden wir in anderen Modellen. Der Psychologe Schulz von Thun z.B. stellt den Aspekt der persönlichen Wahrnehmung in seinem bekannten 4-Seiten-Modell einer Nachricht. Neben Sachaussage und Appell gibt es dort die Selbstaussage. Dies bedeutet, dass mit jeder Äusserung ein Mensch ausdrückt, wie er selbst die Welt sieht. Und er sagt auch etwas darüber, wie er zum anderen steht. Das ist der Beziehungsaspekt der Aussage.
Doch all dies in der tagtäglichen Kommunikation mit anderen konsequent umzusetzen, ist gar nicht so einfach. Mein Motto ist "Kommunikation mit Herz und Verstand". Das Herz bei der Kommunikation sollte uns dazu motivieren, unvoreingenommen auf andere Menschen zuzugehen, im Bewusstsein, dass wir den anderen sowieso im Filter unseres persönlichen Weltbildes sehen. Und der Verstand sollte uns bei der Kommunikation helfen, die Aussagen anderer nicht gleich auf uns zu beziehen und in allem eine Beziehungsaussage oder einen Angriff zu hören. Vielmehr sollten wir eine Aussage als Selbstaussage hören und im Kontext des persönlichen Weltbildes des Senders verstehen.
Hier ein paar Beispiele aus dem Alltag:
1. Im Ferienhotel hat sich die Familie beim Abendessen für das laut Karte "rosa gebratene, saftige Kalbsentrecôte" entschieden. Doch leider ist dem Fleisch mit Messer und Gabel kaum beizukommen und das Kauen der zähen Stücke gestaltet sich als ziemlich mühsam. Als die freundliche Kellnerin die Teller abräumt und fragt, ob es denn recht war, antwortet die Familie wahrheitsgemäss, dass es sehr zäh gewesen sei. Worauf die Kellnerin anmerkt, dass bisher alle sehr zufrieden gewesen seien. Das mag zwar so sein, signalisiert den Gästen aber hier: "Mit eurer Wahrnehmung stimmt was nicht. Alle anderen finden das Fleisch gut." Egal, ob die anderen nun eben keine zähen Stücke hatten oder nicht, eine solche Bemerkung ist sinnlos. Besser ist es, in der Kommunikation im Dienstleistungsbereich die Wahrnehmung des Gastes zur Kenntnis zu nehmen und für Abhilfe zu sorgen. "Tut mir leid, dass das Fleisch nicht so war, wie Sie es sich vorgestellt hatten. Darf ich Ihnen noch etwas anderes bringen?"
2. Nichtakademiker Peter macht in gemütlicher Runde von nachbarschaftlichen Festen gerne abfällige Bemerkungen über die faulen Lehrer, die immer Ferien haben und nur einen halben Tag arbeiten und die abgehobenen Akademiker, die von der Praxis des Berufs keine Ahnung haben. Vroni (Lehrerin) und Thomas (Ökonom) ärgern sich jedes Mal darüber und fühlen sich provoziert. Der Zusammensein wird ihnen jedes Mal verleidet. Statt die Beziehungsaussage "Ihr seid Akademiker und deshalb habt ihr keine Ahnung vom wirklichen Leben" zu hören, wäre es besser, die Selbstaussage Peters zu hören: "Ich bin kein Akademiker und muss mich im Umgang mit Akademikern rechtfertigen und beweisen". Und dann könnten Vroni und Peter bei der nächsten blöden Bemerkung Peters sagen: "Peter, wir beurteilen Menschen nicht danach, ob sie studiert haben oder nicht. Wir sind überzeugt, dass du sehr erfolgreich bist in deinem Beruf." Wie Peter dann wohl reagiert? Und ob überhaupt …
Gunhild Hinkelmann, fair communication, Wettingen
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