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Sommerzeit, Ferienzeit. Erholung. Auch für die Sinne. Aber das Abschalten ist gar nicht so einfach. Denn wo ist man schon wirklich allein? Und gerade beim Hörsinn scheiden sich die Geister. Was den einen stört, findet die andere angenehm.
In den Ferien möchte man endlich das machen, wozu man Lust hat: ausschlafen oder früh aufstehen, bewegen oder faulenzen, allein sein oder Kontakte herstellen, Party machen oder meditieren, gediegen essen und trinken oder am Buffet im Rausch der Vielfalt schwelgen. Doch natürlich ist man nirgendwo allein. Kommunikation umgibt uns: Gespräche, Klänge, Geräusche. Und das kann ganz schön nerven, sowohl Lautes wie auch Leises. Ist Ihnen nicht auch beides schon auf die Nerven gegangen? Tischnachbarn im Restaurant, die persönlichste Dinge in einer Lautstärke verhandeln, die einen schon fast zu Ohrenschützern greifen lässt. Oder wohlmeinende Mitmenschen im selben Raum, die aus lauter Rücksicht so leise sprechen, dass man das Gefühl hat, man sei ihnen im Weg oder schränke ihre Freiheit ein - obwohl man sich durch ihre Gespräche nicht gestört fühlen würde. Zumal man nicht weiss, ob man selbst nicht Gegenstand des Gesprächs ist. „Wer flüstert, der lügt“ hiess es früher. Die absolute Stille im Restaurant kann beklemmend sein und einen tatsächlich zum permanenten Flüstern veranlassen. Ein Endlosband mit Hits wie „Oh, mein Papa“ in einer Lautstärke, die das Gespräch von mehr als vier Personen am Tisch verunmöglicht, schmälert den Genuss beim gemeinsamen Abendessen ebenso.
Auch Lachen muss nicht unbedingt ansteckend sein, sondern kann extrem nerven. Ich mag Wellness-Hotels, musste aber neulich in einem ebensolchen zwangsweise am angeregten Austausch einer Gruppe von Damen teilhaben, die offensichtlich ein „Freundinnen-Wellness-Weekend“ verbrachten und ihrem Anhang die Pflege von Haus, Hof und Nachwuchs überlassen hatten. Die Kinder und deren Eigenheiten und Fähigkeiten waren nämlich permanentes Gesprächsthema. Mindestens alle fünf Minuten schallte eine Welle hysterischen Gelächters durch das Restaurant. Das muss nicht sein. Man glaubt den Ladys doch auch so, dass sie es lustig zusammen haben und mag es ihnen gönnen.
Es ist allerdings auch eine Unsitte in Hotels und Restaurants, die Tische so eng zu stellen, dass man gar nicht „weghören“ kann. Mir gelingt dies jedenfalls kaum, oder nur unter äusserster Anstrengung. Wenn dann aber am Nachbartisch eine selbstbewusste reife Dame ihrer Freundin erzählt, was für ein toller Liebhaber ihr Mustafa ist und wie wohl sie sich als Frau in Marokko fühlt, ist es besonders schwierig wegzuhören. Erst wenn die junge Servicefachkraft mit dem süsslich-schweren Parfum, das einem den Atem verschlägt, an den Tisch tritt und erfrischend laut trötet: „Hat es denn geschmee-heckt?“, konzentriert man sich wieder voll und ganz auf das Geschehen am eigenen Tisch und gibt artig die gewünschte Antwort.
Und dann gibt es da noch das Problem mit dem „Naturlärm“. Viele Menschen fahren im Urlaub in die Berge, wegen der Idylle. Zu ebendieser Idylle gehört es, dass die Vögel morgens früh zwitschern, die Kirchenglocken zeitweise läuten und die Kuhglocken relativ oft bimmeln. Hinzu kann noch das Zirpen von Grillen, das Bellen von Hunden, das Meckern von Ziegen, das Blöken von Schafen und das Quaken von Fröschen kommen. Erst neulich hörte ich von Bekannten, die sich in den Ferien so über den „Lärm“ von Kuhglocken aufgeregt haben, dass sie sich beim Bauern beschwerten und verlangten, er solle die Kuhglocken entfernen. Was dieser natürlich nicht tat. Daraufhin ist das Paar entnervt abgereist.
Es ist also mal wieder alles relativ, auch bei der Wahrnehmung von Tönen. Der einen fliegen die Ohren ab, wenn die Fitnessinstruktorin die Musik auf „volle Pulle“ dreht und dazu hysterisch kreischt: „Chömed, durrehebe! Dänked an Knackepo!“. Die andere findet das hinreissend mitreissend.
Anstelle des üblichen Tipps zum Monat also hier ein paar persönliche Notizen zu angenehmen und unangenehmen Geräuschen:
Angenehm laut
Feuerwerk Springsteen Wellenschlag Stimme eines Redners, einer Rednerin Blitz und Donner, wenn man im Wintergarten sitzt Heulen des Windes ebenda Regenprasseln ebenda Kuhgeläut Wandern (durch eine Herde) Kinderstimmen auf dem Schulweg Kaffemühle Oeffnen der Garagentür Froschgequake Grillenzirpen Heulen der Triebweke beim Starten Quietschen der Flugzeugreifen beim Landen
Angenehm leise
Summen des Motors im eigenen Auto Vogelzwitschern Jazz for Dinner Kuhgeläut Alphorn am gegenüberliegenden Hügel Wind beim Joggen Aufflammen des Grills Tröpfeln des Kaffees aus der Maschine Perlen von Prosecco Rascheln von Tieren im Laub Fahnenflattern Geräusch beim Gangschalten am Velo Fallen von Schneeflocken auf das Dach des Wintergartens Geräusch der Joggingschuhe auf Waldboden Rascheln der Zeitung am Frühstückstisch Vorbeigleiten von Schwänen beim Schwimmen im See Ton des Handys bei einer eingehenden SMS (z.B. Lottogewinn) Geräusche beim Aufräumen (besonders, wenn man hört, dass Mister Sohn mal die Waschmaschine belädt und in Gang schmeisst) Summen der Abwaschmaschine Nackte Füsse auf Parkett Rauschende Dusche Ausfahren des Fahrwerks im Flugzeug Summen von Kleinflugzeugen bei schönem Wetter
Unangenehm laut
Affektierte Begrüssungen (unter Frauen) „Ja hoiiii, wie häsch es?“ Pausenloses Geschwätz Tinnitus Röhren von aufgemotzten Autos und Töffs Helikopterflüge am Strand Stereoanlagen in tiefgelegten Autos Rasenmäher des Nachbarn Bohrer des Zahnarztes Presslufthammer Knirschende Reifen von Mountainbikes beim Joggen Hundegebell Klappern von Gartenhäuschentüren nachts Knallen aus dem Schiessstand Stöhnen von Männern beim Krafttraining im Fitnessstudio Ballknallen an die Torlatte Hupkonzerte italienischer Fans nach einem Spiel gegen Deutschland Handygespräche im Zug Quietschen von schlecht geölten Sonnenstoren Kindergeschrei im Flugzeug, Restaurant, Supermarkt Unverständliche Ansagen im Flughafen Hallende Restaurants Durcheinandergellende Stimmen an Parties Permanentes Kugelschreiberknipsen bei Gesprächen
Unangenehm leise
Flüstern in meiner Gegenwart Panflöten Leise sprechen bei Wortmeldungen an Sitzungen Flüsterstimmen am Nebentisch Walkingstöcke auf Asphalt Fliegen- und Mückensummen Musikteppich im Kaufhaus Klacken von Laptoptastaturen Schlürfen Leeres Restaurant
Ach, und zum Schluss doch noch ein Tipp zum Buchstaben dieses Monats: L Lassen Sie Ihr Laptop daheim, wenn Sie in die Ferien fahren. Geniessen Sie die Langeweile und lassen Sie sich einfach mal treiben. Nur so gelingt das Abschalten. Die Ferien sind schnell genug vorbei und schon sind Sie wieder online. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen leise-lauen Juli Ihre
Gunhild Hinkelmann, Juli 2012
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